
Stefanie Klatt
Was ist ADHS?
Einleitung
Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist in den letzten Jahren immer mehr in den Kern des wissenschaftlichen und öffentlichen Interesses gerückt. Der Bekanntheitsgrad ist durch die Medien immens gestiegen. Inzwischen sind zahlreiche Publikationen zum Thema ADHS erschienen.
Für viele ist die ADHS eine Modekrankheit, deren Diagnose belächelt wird, für andere eine ernsthafte Erkrankung mit erheblichen Konsequenzen für den Einzelnen und sein Umfeld. Für Manche ist ADHS sogar die Erklärung für fast alle problematischen Verhaltensweisen bei Kindern.
Geschichte
Ein Blick in die Vergangeheit
ADHS gibt es schon sehr lange, wahrscheinlich gab es sie schon immer. Zum Beispiel beschrieb der Leibarzt von Napoleon I. um 1808 ihn als „moralisch krankes Kind, Sklave seiner Leidenschaften, Schrecken der Schule, Qual der Familie.“
Das Kinderbuch der Struwwelpeter, erschienen um 1844, des Frankfurter Nervenarzt Heinrich Hoffmann, schildert recht detailgetreu einige der auffälligsten Symptome.
Im Jahr 1890 erstellte Ludwig Strümpell, ein Philosoph und Psychologe aus Leipzig, ein System zur "Pädagogischen Pathologie oder Lehre der Kinderfehler". Strümpell bezeichnete Unruhe und Unaufmerksamkeit als "konstitutionelle Charakterdefekte".
1937 berichtete Dr. Charles Bradley in der American Journal of Psychiatry über die unbeabsichtigte Wirkung von Benzedrin bei der Behandlung von verhaltensgestörten Kindern. Bradley konnte nicht erklären, warum das eigentlich anregende Stimulans eine "paradoxe" Reaktion hervorrief, bei der die als "hyperaktiv" bezeichneten Patienten unmittelbar nach der Verabreichung des Medikaments in einen Zustand der Ruhe und Entspannung gerieten.
Im Jahr 1956 wurde Methylphenidat unter dem Markennamen Ritalin® zugelassen und auf den Markt gebracht. Ursprünglich zur Behandlung von Narkolepsie gedacht, wird es seit den 1970er Jahren auch offiziell zur Behandlung des "Hyperkinetischen Syndroms" eingesetzt. Seitdem gibt es heftige Debatten über die Verantwortung einer Stimulanzien-Therapie bei ADHS-Kindern, die bis heute anhalten.
Ab 1980 begann man sich verstärkt mit dem Verlauf der Krankheit zu beschäftigen. Es wurde immer deutlicher, dass ADHS auch im Erwachsenenalter vorhanden ist, obwohl man früher davon ausging, dass die Störung nach der Pubertät verschwindet. Im Allgemeinen haben erwachsene Patienten gelernt, besser mit den Auswirkungen der Störung umzugehen oder diese zu verstecken.
Seit etwa 2005 ist es sehr wahrscheinlich, dass ADHS vererbt wird, aber es ist noch unklar, unter welchen Umständen die typischen Symptome der Störung zum Ausbruch kommen.
Symptome
Welche Anzeichen gibt es für ADHS?
ADHS ist eine neurobiologische Störung, die bei Kindern und Erwachsenen auftreten kann und die durch eine verminderte Fähigkeit zur Selbstregulation gekennzeichnet ist. Die Ursachen für ADHS sind noch nicht vollständig erforscht, aber es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren dazu beitragen kann. Die Diagnose von ADHS erfordert eine sorgfältige Beobachtung und Beurteilung der Symptome durch einen Facharzt. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung der Störung kann den Betroffenen helfen, ihre Symptome zu kontrollieren und ihre Lebensqualität zu verbessern.
Die Symptome von ADHS können von Patient zu Patient unterschiedlich ausgeprägt sein und nicht alle Anzeichen treten immer auf. Insgesamt lassen sich drei Untergruppen von ADHS unterscheiden:
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiv: Patienten mit dieser Untergruppe zeigen vermehrt Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität. Oftmals sind sie unruhig, hibbelig und haben Schwierigkeiten, stillzusitzen. Auch Impulsivität und mangelnde Impulskontrolle gehören zu den typischen Symptomen.
- Vorwiegend aufmerksamkeitsgestört: Diese Untergruppe wird auch als Aufmerksamkeits-Defizit-Typ (ADS) bezeichnet. Hier stehen Probleme mit der Aufmerksamkeit im Vordergrund. Patienten sind oft tagträumerisch, haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und können schnell abgelenkt werden.
- Mischtyp: Hier treten Symptome von Hyperaktivität, Impulsivität und Aufmerksamkeitsstörungen gemeinsam auf. Der Mischtyp ist die häufigste Form von ADHS und tritt bei den meisten Betroffenen auf.
ADHS im Grundschulalter
ADHS-Symptome im Grundschulalter können für Kinder und Lehrer gleichermaßen herausfordernd sein. Kinder mit ADHS können unter anderem durch geringe Frustrationstoleranz und Wutanfälle auffallen, wenn Dinge nicht nach ihrem Willen laufen. Auch ständiges Reden und unpassende Mimik und Gestik gehören zu den typischen Symptomen. Darüber hinaus können Ungeschicklichkeit und häufige Unfälle beim Spielen auftreten, was für betroffene Kinder oft zu einem geringen Selbstbewusstsein führt.
In der Schule haben Kinder mit ADHS oft Schwierigkeiten, sich an Regeln zu halten und sich auf Aufgaben zu konzentrieren. Sie gelten häufig als "Nervensägen" und "Spielverderber", weil sie anderen ins Wort fallen und übermäßig viel sprechen. Die Bearbeitung von Aufgaben kann langsamer und unsystematisch erfolgen, und die betroffenen Kinder sind schnell ablenkbar und frustriert. All diese Symptome können dazu führen, dass die Kinder sich isolieren und als Außenseiter fühlen.
Für Lehrer ist es oft eine Herausforderung, mit Kindern mit ADHS umzugehen, da sie stören und schnell abgelenkt werden können. Viele betroffene Kinder haben auch Schwierigkeiten mit dem Lernen, insbesondere mit Lese-Rechtschreib- oder Rechenproblemen. Ihre Schrift ist oft schwer leserlich und ihr Ordnungsverhalten kann chaotisch sein. Es ist wichtig, dass Kinder mit ADHS die richtige Unterstützung und Betreuung erhalten, um ihnen zu helfen, ihre Symptome zu bewältigen und ihre volle Potential auszuschöpfen.
ADHS im Erwachsenenalter
ADHS, oder auch ADS, kann bei etwa 40 Prozent der Kinder, die unter der Störung leiden, auch im Erwachsenenalter fortbestehen. Allerdings ändert sich das Erscheinungsbild im Laufe der Zeit. Die hyperaktive Motorik tritt in den Hintergrund und Symptome wie Schusseligkeit, Vergesslichkeit und Unorganisiertheit werden stärker. Impulsives Verhalten und unüberlegte Handlungen bleiben jedoch oft erhalten.
Ein großes Problem im Erwachsenenalter ist, dass ADHS häufig nicht erkannt wird und somit unbehandelt bleibt. Dies kann gravierende Auswirkungen auf soziale Kontakte, berufliche Laufbahnen und die Lebenszufriedenheit haben. Betroffene gehen aufgrund ihrer Impulsivität und Unüberlegtheit oft unnötige Risiken ein und schaden sich selbst. Zusätzlich treten häufig weitere psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Substanzmissbrauch oder Suchterkrankungen auf.
Allerdings können Erwachsene mit ADHS auch sehr erfolgreich sein, wenn es ihnen gelingt, ihren Ideenreichtum zu steuern und zu nutzen. Eine gezielte Therapie und gegebenenfalls medikamentöse Behandlung können helfen, die Symptome zu lindern und ein besseres Leben zu ermöglichen.
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiv: Patienten mit dieser Untergruppe zeigen vermehrt Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität. Oftmals sind sie unruhig, hibbelig und haben Schwierigkeiten, stillzusitzen. Auch Impulsivität und mangelnde Impulskontrolle gehören zu den typischen Symptomen.
Diagnose
Wie findet man es heraus?
Eine Diagnose von ADHS ist grundsätzlich die Aufgabe eines Arztes oder Psychiaters. Auch wenn die Symptome offensichtlich oder typisch erscheinen mögen, sollten Diagnosen von Lehrern, Erziehern, Trainern, gut informierten Freunden und Bekannten usw. bestenfalls als Hinweis oder gut gemeinter Ratschlag betrachtet werden. Eine "Selbstdiagnose" aufgrund von Erkennung in Büchern, Zeitungsartikeln, TV-Berichten, im Internet oder in Selbsthilfegruppen kann die qualifizierte Diagnose durch einen medizinischen Fachmann nicht ersetzen. Allerdings können qualifizierte Ärzte oder Psychiatern ADHS nicht innerhalb von 30 Minuten erkennen und eine entsprechend sichere Diagnose stellen. Solche Diagnosen gelten zu Recht als unprofessionell und liefern nur ADHS-Kritikern neue Argumente, um die Anerkennung der Störung und die Notwendigkeit einer angemessenen und professionellen Behandlung in Frage zu stellen.
Was zu einer ADHS Diagnose mindestens gehört:
- Fragebogenanamnese über Eltern, Erzieher, Lehrer und Bezugspersonen zu verschiedenen Symptomen,
- Intelligenz- und Persönlichkeitstests,
- Tests zu Leistungsschwächen,
- Konzentrationsüberprüfung,
- Überprüfung des Gruppenverhaltens,
- Labor, Ganzkörperstatus, (EEG und EKG bei Bedarf),
- Entwicklungsstatus sowie
- körperliche und neurologische Untersuchung,
- Sehtest in der Sehschule und Hörtest in der Pädaudiologie.
Behandlungsformen
Medikamente
In den letzten 60 Jahren hat sich ein bestimmter Wirkstoff bei der medikamentösen Behandlung von ADHS immer mehr durchgesetzt: Methylphenidathydrochlorid, kurz Methylphenidat oder auch MPH genannt. Betrachtet man die eher zufällige Entdeckung der paradoxen Wirkung von Benzedrin bei hyperaktiven Kindern durch Bradley als Beginn der Stimulantien-Therapie, so kann man sogar auf eine etwa 80 Jahre lange Erfahrung zurückblicken.
MPH ist ein wirksamer Bestandteil von Medikamenten, die bei ADHS eingesetzt werden, wie zum Beispiel Ritalin®, Concerta®, Equasym® oder Medikinet® - um nur die bekanntesten zu nennen. Aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung und seiner pharmakologischen Wirkweise gilt MPH als "psychogenes, zentralnervöses Stimulans". In Deutschland fallen Medikamente mit diesem Wirkstoff und dieser Wirkweise unter das Betäubungsmittelgesetz.
Elterntraining
Ein wichtiger Bestandteil der Therapie bei ADHS ist das Elterntraining. Die Eltern lernen, wie sie ihre Kinder besser unterstützen können, indem sie einen konsequenten, aber liebevollen Erziehungsstil anwenden. Dazu gehört beispielsweise das Vorgeben klarer Strukturen und eine unmissverständliche Kommunikation. Die Eltern sollen ihr eigenes Verhalten mit den Anweisungen in Einklang bringen und Ablenkungen von einer anstehenden Aufgabe vermeiden. Darüber hinaus sollen sie ihrem Kind Rückmeldung geben, ob das Verhalten positiv oder negativ ist, und erwünschtes Verhalten deutlich belohnen.
Viele Eltern suchen auch Hilfe bei Elterninitiativen. Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft ihnen aus der Isolation und kann mögliche Schuldgefühle reduzieren. Oftmals schaffen es Eltern von Kindern mit ADHS erst dank des Rückhalts durch die Gruppe, ihr hyperaktives Kind so zu akzeptieren, wie es ist.
Therapie im Schulalter
Für schulpflichtige Kinder und Jugendliche mit ADHS ist Aufklärung, Beratung der Kinder und Eltern sowie Elterntraining die Grundlage der Therapie. Eine wichtige erste Maßnahme ist das sogenannte Selbstinstruktionstraining. Hierbei geben sich die Kinder in sprachlicher Form ihre nächsten Handlungsschritte vor. Das Motto „Erst handeln, dann denken" wird so umgekehrt zu „Erst denken, dann handeln“. Die Fähigkeit, sich selbst konkrete Anweisungen zu geben, stärkt die Selbstkontrolle und hilft, das eigene Verhalten zu überdenken.
Die Selbstinstruktion zur Behandlung von ADHS lässt sich in fünf Schritten erlernen:
· Der Therapeut oder Erzieher spricht die "Selbstanweisungen" modellhaft vor und handelt auch entsprechend.
· Das Kind handelt nach den gerade gehörten Anweisungen des Lehrers (externe Verhaltenssteuerung).
· Das Kind lenkt sein Verhalten durch eigene Selbstanweisungen (offene Selbstinstruktion) mit lautem Sprechen.
· Das Kind flüstert die Selbstanweisung (ausgeblendete Selbstinstruktion).
· Das Kind soll lernen, sich durch das Einüben verinnerlichter Selbstinstruktionen selbst zu steuern (verdeckte Selbstinstruktion).
Sollte das Kind trotz Therapien und Training weiterhin extrem unruhig oder aggressiv sein, können zusätzlich Medikamente sinnvoll sein.
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